Gemeinwesenmediation zwischen Nachbarn (Namen geändert)
Bearbeitet von: Wilhelm Eßer
Im Januar 2006 rief Frau Franke im MediationsZentrum Berlin an und bat um Hilfe wegen Lärmbelästigung. Die Telefonnummer hatte sie vom Büro des Beauftragten für Migration und Integration des Senats von Berlin.
Der Fall wurde an einen ehrenamtlich arbeitenden Mediator des MediationsZentrums Berlin weitergegeben.
Nach einem ersten kurzen Telefongespräch mit Frau Franke vereinbarte ich einen Termin für ein Vorgespräch, wobei Frau Franke unbedingt auch Frau Schaal dabeihaben wollte, die ihrer Meinung nach auch betroffen war.
Vorgespräch am 17. Januar:
In dem ca. 30minütigen Vorgespräch in der Wohnung von Frau Schaal schilderten beide ihre Probleme mit einer benachbarten libanesischen Familie. Frau Franke wohnt im 3.Stock eines Hinterhauses direkt neben der Familie, Frau Schaal unter der Wohnung der Familie. Thema war hauptsächlich Lärmbelästigung und vernachlässigte Sorgfallspflicht.
Die Eskalationsstufe war schon relativ hoch, da bis zu diesem Zeitpunkt schon mehrere erfolglose Gespräche mit der libanesischen Familie stattgefunden hatten, die Hausverwaltung eingeschaltet wurde und mehrfach die Polizei (wegen Lärm) und das Fürsorgeamt (vernachlässigtes Kind) gerufen wurde. Frau Schaal schläft jetzt schon öfters bei einer Freundin, weil sie den Lärm nicht mehr erträgt. Als letzte Hoffnung, der eigene Auszug war schon ein Thema, hatten sie das MediationsZentrum angerufen.
Wir einigten uns darauf, dass ich Herrn Anak einen Brief auf deutsch und auf arabisch (Wertschätzung) schicken würde, mit der Einladung zu einem Gespräch mit allen Beteiligten. Für die Terminabsprache sollte er mich anrufen. Frau Schaal bot zu dem Treffen ihre Wohnung an. Dies war in diesem Fall sicherlich sinnvoll, weil es, wie sich bald herausstellte, sehr schwierig war einen gemeinsamen Termin zu finden. Wenn dieser dann noch weit entfernt gewesen wäre, wären die Chancen für ein gemeinsames Treffen noch geringer gewesen.
Der Brief wurde nach einer Woche verschickt.
Nach einer weiteren Woche hakte ich telefonisch erfolglos nach.
Nach einer weiteren Woche beschloss ich die Familie zu besuchen und persönlich einzuladen. Ich traf sie zufällig an, stellte mich vor und fragte, ob der Brief angekommen sei. Ein höflicher junger Mann antwortete mit „ja“ und sagte, dass er bisher keine Zeit zum Anrufen gefunden hätte, aber gerne zu einem Gespräch bereit wäre.
Nach einigen Telefonaten wegen der Terminabsprache und weiteren 2 Wochen sollte es am 7.3. dann soweit sein. 30 Minuten vorher wollte ich telefonisch an den Termin erinnern. Ich erreichte Herrn Anak, der mir jedoch mitteilte, er wäre nicht da und es würde ihm in der darauf folgenden Woche besser passen.
Am 12.4. kam es zu einem zweistündigen gemeinsamen Treffen mit Frau Schaal, Frau Franke, Herrn Anak, meinem Co-Mediator und mir.
Nachdem wir uns vorgestellt hatten, erzählten, was bisher geschah, unsere Rolle erläuterten, das Mediationsverfahren erklärten, Regeln aufstellten und uns mit dem Einverständnis aller den Auftrag abholten, begann Frau Schaal mit der Schilderung ihrer Sichtweise.
Themen waren: Herr Anak klingelt nachts bei Anwohnern um sich das Haustor öffnen zu lassen, Wohnungstüren werden zugeknallt, Musik und Fernseher sind zu laut und das Kind schreit die ganze Nacht, oft auch alleine. Sie klagte, dass trotz mehrmaligen Hinweisen auf die Belästigungen, sich nichts änderte.
Frau Franke bestätigte die Themen und ergänzte ihre Betroffenheit zu den einzelnen Punkten.
Herr Anak begann daraufhin seine Situation zu schildern.
Bis vor kurzem wohnten in der Ein-Zimmer-Wohnung er, sein Bruder und seine Schwester mit Kind. Sein Bruder ist ausgezogen und knallt jetzt keine Türen mehr. Er und seine Schwester sowieso nicht. Er studiert tagsüber und arbeitet nachts. Da er nur einen Haustorschüssel hat, den seine Schwester braucht, muss er abends bei Herrn Dau im 1. Stock klingeln um hereinzukommen. Das ist mit Herrn Dau so abgesprochen. Wenn der mal nicht da war, kann es sein, dass er mal woanders geklingelt hat. Die Hausverwaltung reagiert leider nicht auf seinen Wunsch nach einem weiter Haustorschlüssel. Wenn er nachts in die Wohnung kommt, wird das Kind wach und will spielen. Seine Schwester spricht kein Deutsch, kennt niemanden und traut sich nicht raus. Deshalb muss sie den ganzen Tag fernsehen und Musik hören. Es täte ihm leid, wenn er irgendjemanden stören würde und ab jetzt wird alles besser. Er wird vor allem mal mit seiner Schwester reden.
Während der Schilderungen hörten wir aktiv zu, spiegelten und fassten am Ende die Themen zusammen.
Wir stießen eine Diskussion an, was Nachbarschaft für jeden einzelnen hier und jetzt bedeutet, wie die Unterschiede im kulturellen Kontext. Dabei spielten besonders die unterschiedlichen Bedürfnisse nach Ruhe und Aktion eine Rolle.
Danach wurden die Themen nacheinander besprochen.
Durch die Schilderungen von Herrn Anak konnten Frau Franke und Frau Schaal die Situation verstehen, in der Herr Anak steckte und waren schnell bereit, sich mit Hilfsangeboten zu engagieren, die, so wurde gehofft, manches Thema automatisch lösen würde. Außerdem hatten alle drei einen gemeinsamen „Feind“, nämlich die unzuverlässige Hausverwaltung.
Vereinbarung
- Als Sofortmaßnahme übergibt Frau Franke Herrn Anak ihren zweiten Haustürschlüssel.
- Frau Franke, Frau Schaal und Herr Anak werden unverzüglich Druck bei der Hausverwaltung machen, um einen zweiten Haustorschlüssel für Herrn Anak zu besorgen.
- Frau Franke bietet an, mit Herrn Anak eine geeignete Stelle aufzusuchen, um für seine Schwester ihren aufenthaltsrechtlichen Status zu klären und einen Kindergartenplatz zu besorgen.
- Die Musikanlage wird umgehend zum Dielenboden hin gedämpft.
- Frau Franke bietet Herrn Anak an, seiner Schwester und ihrem Kind den nahe gelegenen Kinderspielplatz zu zeigen.
- Bei zu lauter Musik/Fernseher werden Herr Anak und seine Schwester in die Wohnung von Frau Schaal gebeten, damit sie den Geräuschpegel wahrnehmen können, den sie verursachen.
- Türen werden ab sofort nicht mehr zugeknallt, sondern leise geschlossen
- In der folgenden Woche wird am gleichen Ort ein Treffen zwischen Frau Franke, Frau Schaal und Herr Anak stattfinden.
Wir ließen das Blatt von allen Beteiligten unterschreiben und in den Händen von Frau Franke zum kopieren und verteilen. Wir bedankten uns und lobten alle Beteiligten für ihr verständnisvolles und konstruktives Miteinander.
Nach 4 Wochen sollte ein telefonisches Nachgespräch zwischen Frau Schaal und mit mir als Mediator stattfinden.
Das Telefongespräch mit Frau Schaal ergab:
- Herr Anak kam nicht zum vereinbarten Termin,
- es ist ruhiger geworden,
- Herr Anak will ausziehen und sucht eine größere Wohnung.